Felix Salten – Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt

Durch die kranke Brille gelesen

Felix Salten Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt

Es ist 1925, sieben Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, vierzehn Jahre vor dem Zweiten. Bald wird der sog. Schwarze Freitag die Weltwirtschaft in eine ungebremste Krise schleudern, die kapitalistische Seuche von Armut und Hungertod wird Millionen erfassen.
Noch 14 Jahre bis zur ärztlich verordneten und durchgeführten Aktion T 4, der systematischen Ermordung von 275.000 Patienten, der Auftakt für den dann noch größeren Massenmord an all denen, die „aus der Art“ seien. Wer hören und lesen wollte, konnte das 1925 bereits erahnen. So erschien 1920 die EuthaNAZI-Propaganda-Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Auch der seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer stärker werdende Antisemitismus und die Pogrome an west- wie osteuropäischen Juden sowie im zaristischen Russland (ab 1881ff.) zeigten eine klare Sprache.

Aber es ist überall auch eine Zeit der Hoffnungen, der theoretischen wie praktischen Aufbrüche in eine neue Zeit. Nicht nur in Europa. Es gab mehr als die „Roaring Twenties“, die man heute allerorts wieder so gerne abfeiert, und sie war größer als Berlin.
Für gläubige Juden ist es eine Zeit der Rückkehr in „ihr“ heiliges Land des Pentateuch, das Land ihrer Urväter, und das Ende der Diaspora, während sich sozialistische und kommunistische Juden entscheiden, die Gelegenheit zu ergreifen und in Palästina am Entstehen einer neuen Gesellschaft mitzuarbeiten.

Für uns heute, fast 100 Jahre später, ist diese Zeit und ihre Gedankenwelt leider kaum noch unverstellt fassbar. Sie ist verzerrt und zu großen Teilen verschüttet – zu verheerend und fortwirkend der gesellschaftliche und gedankliche Rückschritt, wie er sich im Nazi-Gesundheitsstaat am stärksten zeigte. Und zu widersprüchlich und von gegensätzlichen Interessen geleitet die Entwicklung in Europa und im Nahen Osten nach 1945, in Verbindung mit der weltweiten Gier nach Erdöl.

Ob sie nicht Heimweh haben?

fragt Felix Salten zwei junge Frauen, die seit drei Jahren im Land sind. Sie leben nach ihrer Zeit als Chaluzim nun seit zwei Jahren in einem Kwuza (Kibbuz), einem gemeinwirtschaftlichen Betrieb namens Ain Charoth. „Sie lachen fröhlich und erstaunt. Hier gibt es so viel zu schaffen, hier ist man dem Boden so hundertfach verknüpft, hier wird man so erfüllt und durchdrungen von der gemeinsamen Aufgabe… hier ist Heimat. Sie sagen das in einfachen Worten, ohne Großtuerei, ohne Tütütü.“

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