Black Sabbath – Master of Reality

Durch die kranke Brille gehört

Wir husten Euch was: Master of Reality von Black Sabbath

Wir sind im Jahr 1971. Die Nadel senkt sich langsam auf das gerillte Vinyl.
ÄCHEÄH ÄCHEÄH ähEH ehEH ehEH ehEH ehEH ehEH ehEH ehEH eh–,
< Bin ich krank genug, bin ich gekränkt genug? >
Der immer metallischer klingende Husten wandert langsam von rechts nach links.
< Durch Prothesen ersetzte Fingerkuppen drücken auf die heruntergestimmten Seiten. >
Das hypnotische Downtempo-Riff setzt ein, zeitgleich mit Bass und Schlagzeug.
< Es geht los. >
„Alright now! Won’t you listen?“

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Felix Salten – Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt

Durch die kranke Brille gelesen

Felix Salten Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt

Es ist 1925, sieben Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, vierzehn Jahre vor dem Zweiten. Bald wird der sog. Schwarze Freitag die Weltwirtschaft in eine ungebremste Krise schleudern, die kapitalistische Seuche von Armut und Hungertod wird Millionen erfassen.
Noch 14 Jahre bis zur ärztlich verordneten und durchgeführten Aktion T 4, der systematischen Ermordung von 275.000 Patienten, der Auftakt für den dann noch größeren Massenmord an all denen, die „aus der Art“ seien. Wer hören und lesen wollte, konnte das 1925 bereits erahnen. So erschien 1920 die EuthaNAZI-Propaganda-Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Auch der seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer stärker werdende Antisemitismus und die Pogrome an west- wie osteuropäischen Juden sowie im zaristischen Russland (ab 1881ff.) zeigten eine klare Sprache.

Aber es ist überall auch eine Zeit der Hoffnungen, der theoretischen wie praktischen Aufbrüche in eine neue Zeit. Nicht nur in Europa. Es gab mehr als die „Roaring Twenties“, die man heute allerorts wieder so gerne abfeiert, und sie war größer als Berlin.
Für gläubige Juden ist es eine Zeit der Rückkehr in „ihr“ heiliges Land des Pentateuch, das Land ihrer Urväter, und das Ende der Diaspora, während sich sozialistische und kommunistische Juden entscheiden, die Gelegenheit zu ergreifen und in Palästina am Entstehen einer neuen Gesellschaft mitzuarbeiten.

Für uns heute, fast 100 Jahre später, ist diese Zeit und ihre Gedankenwelt leider kaum noch unverstellt fassbar. Sie ist verzerrt und zu großen Teilen verschüttet – zu verheerend und fortwirkend der gesellschaftliche und gedankliche Rückschritt, wie er sich im Nazi-Gesundheitsstaat am stärksten zeigte. Und zu widersprüchlich und von gegensätzlichen Interessen geleitet die Entwicklung in Europa und im Nahen Osten nach 1945, in Verbindung mit der weltweiten Gier nach Erdöl.

Ob sie nicht Heimweh haben?

fragt Felix Salten zwei junge Frauen, die seit drei Jahren im Land sind. Sie leben nach ihrer Zeit als Chaluzim nun seit zwei Jahren in einem Kwuza (Kibbuz), einem gemeinwirtschaftlichen Betrieb namens Ain Charoth. „Sie lachen fröhlich und erstaunt. Hier gibt es so viel zu schaffen, hier ist man dem Boden so hundertfach verknüpft, hier wird man so erfüllt und durchdrungen von der gemeinsamen Aufgabe… hier ist Heimat. Sie sagen das in einfachen Worten, ohne Großtuerei, ohne Tütütü.“

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Tönern – Zur Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion“

Durch die kranke Brille gesehen

Zur Ausstellung Contemporary Muslim Fashion im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst (MAK)

Mode ist die Einigung der Gesellschaft zur Verschleierung der Körperverhältnisse. Oberhalb der Fläche. Körperbetont sagt nichts über Körper aus. Unsichtbare Körperlinien sagen nichts über Rückbindung. Ideologische Statements sind möglich. Verstecken ist wichtiger. Selbst die Revolutionärin ohne Masse will nicht wirklich erkannt werden. Wer autonom ist, wird die Unsichtbarkeit nutzen. Der Maulwurf kann nicht aufgehalten werden. Die Gesellschaftsfeinde, denen man ihr Verschleierungstotenhemd signifizieren sollte, sind die Ärzte und ihre Anhängsel. Der Weißkittel ist die Vortäuschung von Sozialität. Diese Täuschung ist perfektioniert und perfide von Seiten der Gattungsfeinde. Ihr braucht keine Ärzte. Nur Krankheit. Nutzt Gattungsvorschein.

SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen

Durch die kranke Brille gelesen

SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen

„Aus der Krankheit eine Waffe machen“ lautete die Überschrift eines SPK-Flugblattes vom Juni 1971 (abgedruckt im zweiten Teil der Dokumentation zum Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg). Ein Jahr später wurde sie zum Titel eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Es gehört in die Handbibliothek jeder politisch-emanzipatorischen Gruppe und jedes noch so rudimentären Kollektivs, das sich auf die Suche nach dem Wie des Zusammenlebens begibt: „SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen. Eine Agitationsschrift des Sozialistischen Patientenkollektiv an der Universität Heidelberg“. Sucht man Antworten, wird man sie darin finden.

So vielfältig und lebendig wie das SPK selbst ist auch diese Kränkschrift, in der man immer wieder von Neuem auf Entdeckungsreise gehen kann. In kondensierter Form findet man darin die an der Praxis geschärften theoretischen Erkenntnisse ebenso wie die krankheitsdialektische Methodik des SPK, dazu wichtige Original-Flugblätter und -Texte, eine Wandzeitung, Fotos aus der Zeit und und und. Es gibt auch einen historischen sowie dokumentarischen Teil. Nicht zu vergessen das Vorwort von Jean-Paul Sartre, in dem er die Ausarbeitungen des SPK zur Signifikantentheorie ins Verhältnis stellt. Er stellt sich auf die Seite des SPK: „Ich bin erfreut, den tatsächlichen Fortschritt erfahren zu haben, den das SPK darstellt.“
In der erweiterten sechsten Auflage findet sich auch eine ausführliche Zeittafel und ein Ausschnitt aus einer Rundfunksendung von „Radio Dreyeckland“ über die Patientenfront.

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Kenzaburô Ôe – Eine persönliche Erfahrung

Durch die kranke Brille gelesen

Kenzaburô Ôe – Eine persönliche Erfahrung

Japan in den 1960ern, eine Generation nach dem Atombombenabwurf von Nagasaki und Hiroshima. Bird, ein Mann Ende Zwanzig, und seine Frau erwarten ein Kind. Sein Leben birgt jetzt schon nur noch wenig, was ihn interessiert, außer Bücher und Landkarten von Afrika und seinen Traum, einmal dorthin zu fahren.

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Apollinaire

Als das Kind zur Welt kommt, platzt selbst dieser Traum. Das Kind kommt schwerkrank zur Welt – viele Kinder werden in dieser Zeit in Japan krank geboren. Eine Krankheit, die alles verändert und alles einnimmt: Eine Deformierung am Kopf, eine Verwundung auf dem Weg in diese Welt, so dass der Junge aussieht wie „Apollinaire auf dem Schlachtfeld“. Fortan versucht Bird, dieser Situation, den Ketten, die sich um ihn schlingen, der Verantwortung zu entkommen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber wie?

Seine Frau, die nach der Entbindung geschwächt in einem anderen Krankenhaus liegt als ihr Kind, wird vom Rest der Familie abgeschirmt, weiß nicht, wie es um das Kind bestellt ist. Bird allein wird von Familie und Gesellschaft vor die Frage gestellt, wie es weitergehen soll.

Eine schier unmögliche Anforderung. Vereinzelt, verzweifelt, auf sich zurückgeworfen, sieht er sich im Verlauf der Geschichte mit Angst und Schuld konfrontiert, aber auch mit Befreiung, weil die allein durch die Krankheit des Kindes geschaffene außergewöhnliche Situation ihn an den Rand des Existentiellen treibt. Genaugenommen ist es nicht die Krankheit des Kindes, die ihn in Bedrängnis bringt, sondern die ärztlich verordnete Sichtweise darauf, die davon geprägt ist, dass die Ärzte das Kind als nicht lebensfähig und damit nicht lebenswert einstufen. Sie machen es zu einem vermeintlichen „Monsterbaby“.

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